Teil 1/2: Was ist Selbstwirksamkeit?

Lisa, Matthias, Schneemann

 

Selbstwirksamkeit ist ein Smaragd der Motivationspsychologie. Wenn du das Konzept verstanden hast, wirst du feststellen, dass Tätigkeiten, Situationen und Menschen, die Selbstwirksamkeitserfahrungen begünstigen, von Menschen geliebt und häufig aufgesucht werden. Tätigkeiten, Situationen und Menschen, die nicht zulassen, dass Selbstwirksamkeit erfahren wird, sind dagegen oft so beliebt wie Glühwein im Juli. Zur Veranschaulichung lernst du nun Lisa und Matthias kennen. Diese bereiten sich auf eine Matheprüfung vor.

 

Das Prinzip ist übertragbar auf jede andere Tätigkeit, bei der Motivation wichtig ist. Es ist also egal, ob du Schüler, Student, selbstständig, Arbeitnehmer oder sonst was bist.

 

Sonntag vor der Matheprüfung. Lisa.

 

08:00 Uhr

Lisa steht auf. Zähneputzen, Duschen, fertig machen.

 

10:30 Uhr.

„Oh man. Jetzt muss ich den ganzen Tag für diese blöde Matheprüfung lernen und am Ende bringt es eh nichts, weil ich Mathe einfach nicht kann. Bei den anderen Matheklausuren hab ich auch schon immer voll versagt. Naja. Ich mache trotzdem mal was.“

 

12:00 Uhr.

„Wenn man die zweite Ableitung von…wovon nochmal? Oh man, ey. Meine Eltern hatten Recht. Ich bin ein Mädchen und kann halt einfach kein Mathe. Ich bin doch nicht blöd. Die anderen Fächer rocke ich schließlich. Dass ich das hier einfach nicht verstehe, liegt daran, dass ich Mathe einfach nicht kann. Es gibt Studien, die zeigen, dass Mädchen schlechter in Mathe sind. Das google ich mal kurz….“

 

14:05 Uhr.

„ALTER. Regenwürmer können sooo groß werden?!“

 

15:40 Uhr.

„So. Weiter mit Mathe. Oh man. Ich hänge ganz schön hinterher in meinem Zeitplan. Aber eigentlich ist es auch mehr oder weniger egal, ob ich mit den ganzen Themen durchkomme, weil mein Matheverständnis einfach nur für ne Vier reicht. Dazu brauche ich auch nicht alle Themen zu kennen. Also machen wir ne kurze TV-Pause.“

 

18:00 Uhr.

„Soooo…die zweite Ableitung von…eeerm…von…“

 

18:05 Uhr.

„…fuck.“

 

18:10 Uhr.

„Aber ich hab’s auch jedem gleich gesagt, dass ich das einfach nicht verstehe. Es bringt für mich einfach nichts, zu lernen. Ich schlafe schon ein, wenn ich das nächste Thema nur sehe. Ich mache jetzt noch dieses Thema zu Ende und fertig. Was soll ich mich noch länger quälen?“ Ruft Freundin Lara an.

 

18:20 Uhr.

„…war Mathe eigentlich schwer bei euch in der Klasse? Was hattest du in der Letzten Klausur?“

 

Lara: „War mega scheiße. Ich hab voll gelernt, aber trotzdem ne Vier geschrieben.“

 

„Jaaa. Es ist egal, wie viel man lernt, ne? Am Ende steht da einfach immer ne Vier. Naja egal. Alter…wusstest du, wie groß Regenwürmer werden können?“

 

 

Sonntag vor der Matheprüfung. Matthias.

 

10:20 Uhr.

Matthias steht auf. Zähneputzen.

 

10:23 Uhr.

„Oh man. Jetzt muss ich den ganzen Tag für diese blöde Matheprüfung lernen, um ne gute Note zu kriegen. Das hat allerdings bei den anderen Matheklausuren auch schon immer gut geklappt. Naja, dann mache ich mal was.“

 

12:00 Uhr.

„Wenn man die zweite Ableitung von…wovon nochmal? Oh man, ey. Ich steh grad voll aufm Schlauch. Mein Vater hat mich doch immer Mathe-ias (Vaterjoke halt) genannt, weil ich immer so gut in Mathe war. Dass ich das hier einfach nicht verstehe, liegt daran, dass ich das zugrundeliegende mathematische Prinzip noch nicht verstanden habe. Das google ich mal kurz….“

 

14:05 Uhr.

„JUNGE. Das Vieh ist ja so dick wie mein Arm…“

 

15:40 Uhr.

„So. Weiter mit Mathe. Mithilfe der Infografik habe ich meinen Denkfehler gefunden. Yeah! Problem beseitigt. Das fühlt sich gut an. Nächstes Thema. Ich liege noch ganz gut in der Zeit. Ich hab eigentlich keine Lust mehr, aber wenn ich die Themen jetzt noch durchziehe, schreibe ich ne gute Note.“

 

18:00 Uhr.

„Sooo. Das war’s mit den Themen erst mal. Das Zeug sitzt so halbwegs. Jetzt machen wir ne chillige Pause und dann wiederhole ich noch mal alle Themen, sodass auch wirklich alles sitzt.“

 

19:00 Uhr.

Ruft Kumpel Lukas an.

„Hey Bro, hast du nicht schon bei dem neuen Lehrer mal Mathe geschrieben?“

 

„Jou.“

 

„Und? Machbar?“

 

„Klar. Musst halt nur wirklich alle Themen drauf haben. Aber dann geht’s. Ich hab mit ner Zwei überlebt.“

 

20:30 Uhr.

Unser Mathe-ias wiederholt noch einmal alle Themen und geht dann schlafen.

 

 

Definition „Selbstwirksamkeit“:

 

Selbstwirksamkeit beschreibt die Erwartung einer Person, mit den eigenen Fähigkeiten (z. B. Matheverständnis) eine bestimmte Aufgabe erfolgreich erledigen zu können (z. B. Matheprüfung).

 

Das obige Beispiel soll verdeutlichen, wie Selbstwirksamkeit entsteht und sich auswirkt. Der Vater des Konzepts der Selbstwirksamkeit, der Psychologe Albert Bandura, unterscheidet vier Quellen der Selbstwirksamkeit: Mastery, Modeling, Persuasion und physiologische Erregung. Die Informationen aus diesen vier Quellen bestimmen die Ausprägung der Selbstwirksamkeitserwartung bei einer Tätigkeit. Schauen wir uns diese Quellen einmal näher an und prüfen unser Beispiel darauf.

 

 

Mastery: = Erfolgserlebnisse aus der Vergangenheit. Der Begriff „Mastery“ wird sehr gerne von uns Psychos genutzt und beschreibt das Meistern einer Aufgabe durch die Nutzung eigener Fähigkeiten. Lisa hat in den Matheklausuren zuvor versagt (verringert Selbstwirksamkeit), Matthias gerockt (erhöht Selbstwirksamkeit).

 

Modeling: = Beobachtungslernen. Lisa und Matthias lernen durch die Beobachtung von Personen (=Modelle) aus Ihrem Umfeld. Lisas Freundin sagt, sie habe viel gelernt, aber dennoch eine schlechte Note geschrieben. Das führt bei Lisa zu der Schlussfolgerung, dass Lernen (das, was man selbst tun kann, um ein Ziel zu erreichen) bei Mathe nicht zu der gewünschten Note (Wirkung) führt. Bang. Niedrige Selbstwirksamkeit induziert. Matthias’ Freund hingegen hat vorgemacht, dass man eine gute Note scheiben kann, wenn man sich wirklich auf alle Themen vorbereitet. Bang. Hohe Selbstwirksamkeit induziert. Modeling ist in Matthias’ Fall anderen bei Mastery zuschauen.

 

Persuasion: = Er-/Entmutigung anderer. Leider haben Lisas Eltern offensichtlich ein antiquiertes Mindset über die mentalen Fähigkeiten von Mädchen und Jungs, was dazu führt, dass sie Lisa einreden, dass sie Mathe einfach nicht könne. Das verringert die Selbstwirksamkeit. Matthias’ Vater hingegen nennt ihn anerkennend Mathe-ias. Das erhöht die Selbstwirksamkeit.

 

Physiologische Erregung: = Das Gefühl dabei. Für Lisa ist es schon einschläfernd, wenn sie das nächste Thema schon sieht. Matthias hingegen fühlt freudige Erregung nach der Lösung seiner Verständnisschwierigkeit mithilfe der Infografik.

 

 

Diese vier Quellen dienen also nun als Informationsgrundlage für das Bilden einer Selbstwirksamkeitserwartung („Schaffe ich das?“) bezüglich einer bestimmten Aufgabe (Matheprüfung). Wenn wir uns unser Beispiel anschauen, stellen wir den Effekt von Selbstwirksamkeit fest: Anstrengung. Die niedrige Selbstwirksamkeitserwartung bei Lisa führt dazu, dass sie weniger lernt. Sie macht häufiger Pause und bricht frühzeitig ab. Matthias hingegen geht alle Themen durch und wiederholt sie schließlich sogar noch einmal am späteren Abend.

 

„Hat vorher noch nie geklappt.“

„Meine Freundin hat da auch versagt.“

„Mädchen können kein Mathe.“

„Ich schlafe schon ein, wenn ich das nächste Thema nur sehe.“

 

Steht gegen:

 

„Hat vorher schon gut funktioniert.“

„Mein Freund hat das auch geschafft.“

„Ich bin Mathe-ias.“

„Das fühlt sich gut an.“

 

Auf welches Pferd würdest du setzen?

 

Schneemann

 

Stell dir vor, du und dein Nachbar habt von euren jeweiligen Partnern die Aufgabe bekommen, einen Schneemann im Vorgarten zu bauen. Ohne die Aufgabe oder eure Partner weiter zu hinterfragen macht ihr euch ans Werk. Nachdem dein Zwei-Meter-Schneemann fertig ist und du ihn stilsicher mit Schal, Karotte und Cappy bestückt hast. Denkst du dir: „Ein Schneemann ohne Schneefrau?“. Nach weiteren zwei Stunden lehnt sich eine bezaubernde Schneemannfrau an die starken Kugeln ihres (Schn-) Ehemannes.

 

„Ooooh yeah.“

 

Bevor du dich an die geplanten drei Schneekinder machen kannst, deren ganz eigene Charakteristiken eine spannende Dynamik zur Schneefamilienszene beitragen würden, zerrt dein Partner/deine Partnerin deinen längst massiv unterkühlten Körper wieder ins Haus. Während du reingeschliffen wirst, siehst du den Schneemann des Nachbarn: Ein liebloser 50cm-Haufen, OHNE NASE! Lächerlich. Nach einer Stunde an der Heizung sind deine Finger wieder warm genug, um von deinem iPad als Mensch erkannt zu werden. Du schaust du dir die letzte Tagesschau an und findest heraus, warum dein Nachbar sich nicht so ins Zeug gelegt hatte.

 

Tauwetter. NEEEEEEEIIIIIIN.

 

Du warst davon ausgegangen, dass deine bessere Hälfte selbstverständlich den Wetterbericht geprüft haben musste, bevor sie dir einen solchen Auftrag geben würde. Ihr würdet morgen ein ernstes Gespräch über Verantwortung und Vertrauen führen…

 

Du liegst auf dem Schoß deines Partners/ deiner Partnerin und weinst dich leise in den Schlaf.

 

Hättest du dich dieser Aufgabe so hingegeben, wenn die Wirkung absehbar minimal ist, ein Schneemann beispielsweise nur einen Abend existiert? Wohl kaum. Wenn du allerdings wüsstest, dass deine Schneefamilie eine ganze Weile in deinem Vorgarten stehen würde, hättest du dich mit höherer Wahrscheinlichkeit ins Zeug gelegt. Ähnlich ist es mit der Selbstwirksamkeitserwartung. Wenn wir erwarten, dass unser Handeln effektlos verfließt (z.B. „Lernen bringt bei Lehrer Müller nichts, der würfelt die Klausurnoten.“) wirkt das demotivierend – wir senken unsere Anstrengung. Wenn wir allerdings davon ausgehen, dass unser Handeln einen starken Effekt hat („Die Klausur lässt sich mit etwas Vorbereitung easy rocken, weil Lehrer Meier immer genau das abfragt, was im Buch steht.“), steigt die Motivation und wir strengen uns mehr an, weil wir uns einen Effekt versprechen.

 

Wie man seine Leistung nun konkret durch Manipulation der Informationsquellen steigert und warum man sich von Günter fernhalten sollte, erfährst du in Teil 2.