Wir Menschen sind Vergleichsmaschinen. Wir vergleichen immer und überall und das automatisch.

 

„Das Auto von diesem Manager kostet so viel wie mein Haus.“

 

„Meine Ex war nicht so schnell auf der Palme.“

 

„Im Vergleich zu den Müllers geht’s uns doch super.“

 

Vergleichen heißt Verstehen

Diese Vergleichsprozesse helfen uns, unsere Umwelt besser zu verstehen und Ereignisse, Personen, Preise etc. besser einzuordnen. Ist 1€ Trinkgeld viel?

Bei einem 2€-Kaffee wohl eher, als bei einer 45€-Rechnung für ein ausgiebiges Mittagessen mit zwei Personen. Sind 50 Stunden Arbeit pro Woche viel? Für die meisten Menschen – mich übrigens auf jeeeden Fall eingeschlossen – vermutlich schon, während der durchschnittliche Unternehmensberater da wohl schmunzeln mag. Wie ist mein Pokerspiel? Verglichen mit meiner Performance vor einem Jahr: Bombe. Verglichen mit Phil Ivey, dem vermeintlich besten Pokerspieler der Welt: Meh.

Als ich bei meinem letzten Serbien-Besuch meinem kleinen Bruder vor der Abreise meine restlichen Dinar im Wert von 30€ übergab und ihm auftrug, damit Mädels auf Getränke einzuladen, schaute er mich nur mit großen Augen an. Erst im Auto wurde mir klar, dass ich soeben einem Siebzehnjährigen 10% des monatlichen Einkommens eines serbischen Lehrers – das wären für deutsche Verhältnisse ca. 300€ – gegeben hatte, um sich zu betrinken. Ups. Nunja, prost bzw. živeli. Worauf ich hinaus möchte: Die Anpassung des Vergleichsmaßstabs von deutschen Verhältnissen auf serbische half mir, seine großen Augen zu verstehen und mein Verhalten als großer Bruder neu zu bewerten. Sagen wir, aus verantwortungsbewusst-gemäßigt wurde grenzwertig-aber-noch-lustig.

Plötzlich verstehen wir den eisigen Blick der Bedienung, das Schmunzeln des Unternehmensberaters bei deiner Ich-arbeite-so-viel-Geschichte, die schlechte Pokerleistung gegen andere Pro-Spieler und die großen Augen eines kleinen Bruders.

Für mich als Self-Development-Süchtigen ist der nun folgende Schritt allerdings viel interessanter: Wir können diese Vergleichsprozesse gezielt als Instrument zur Leistungsverbesserung und zur Emotionsregulierung nutzen! Man muss nur wissen, wie. Ich erklär’s dir.

 

Blessed

„Wenn Sie also besser werden möchten, nutzen Sie Aufwärtsvergleiche, wenn Sie sich besser fühlen möchten, nutzen Sie Abwärtsvergleiche.“, sagte Herbert Bless, mein mannheimer Professor für Sozialpsychologie. Der Typ war Turnschuh am einen Ende und humorvolles Genie am anderen. Meine KommilitonInnen schmunzelten kurz und warteten dann weiter auf Daten, die mit dem Prädikat „klausurrelevant“ versehen waren. Ich hingegen war wie paralysiert – quasi „blessed“ (ba-dum-tssss) – von diesem bestechend einfachen Prinzip, einen psychologischen Prozess, der ohnehin permanent automatisch von unserem Gehirn ausgeführt wird, zu steuern und zur eigenen Zielerreichung zu nutzen. Schauen wir uns zunächst den Aufwärtsvergleich an.

 

Der Aufwärtsvergleich: Besser werden

Du kennst bestimmt diese Situation, wenn du mit jemandem konfrontiert wirst, der bessere Leistungen in einem Bereich bringt, durch den du dich definierst und eigentlich ziemlich gut bist. Sei es, dass er sportlicher ist, obwohl du eigentlich immer der Sportlichste in deinem Freundeskreis warst, oder dass sie mehr Geld verdient als du: Sofort springt die Vergleichsmaschine an und du kannst dich nicht dagegen wehren. In deinem Kopf siehst du deine 90 Kg beim Bankdrücken gegen seine 105 Kg, deine 4000€ gegen ihre 5000€.

Häufig geht damit ein Selbstwertschutzreflex einher, der sich in Gedanken wie diesen ergießt: „Dafür bin ich viel gebildeter als er.“, „Dafür hat sie kaum zeit für Ihre Familie.“. Solche Gedanken sind völlig normal und machen dich nicht zu einem schlechteren, missgünstigen Menschen. Oft wird diesem Reflex direkt entgegengesteuert: „Nunja, er ist ein netter Typ und drückt mehr. Ist halt so.“, „Sie verdient mehr, aber hat auch hart dafür gearbeitet. Ich gönne es ihr ja auch.“.

Vergleiche dieser Art sind Aufwärtsvergleiche. Bei diesen Vergleichen vergleichst du dich mit Menschen oder Situationen, die besser in etwas sind als du bzw. deine aktuelle Situation. Aufwärtsvergleiche sind ein exzellentes Instrument, um deine Leistung zu verbessern, können aber einen gegenteiligen Effekt haben, wenn sie falsch angewendet werden.

Der Wirkstoff bei der persönlichen Leistungsverbesserung durch Aufwärtsvergleiche besteht im Wesentlichen aus Lernprozessen durch Abgucken. Was macht der Typ, der 15 KG beim Bankdrücken mehr nimmt als ich, beim Training anders? Ah, er trainiert weniger, isst aber mehr. Inwiefern arbeitet meine Kollegin, die 1000€ mehr als ich verdient, anders als ich? Ah, sie plant jeden Sonntagabend ihre Arbeitswoche und hat ihre Ziele niedergeschrieben.

 

Die 20%-Regel

„Marco, ich will aber später mal 40 KG mehr drücken oder Millionen mehr verdienen. Warum sollte ich mich nicht gleich mit Arnold Schwarzenegger und Bill Gates vergleichen und mir Sachen von denen abschauen?“

 

Good Point.

 

Ich bin grundsätzlich ein Verfechter von großen, ambitionierten Zielen und finde, man sollte sich auch von den ganz Großen Dinge abschauen. Das Problem damit ist allerdings, dass häufig die Lücke zwischen deinem jetzigen Ich und deinem Vergleichsmaßstab zu groß ist, als dass ein Vergleich mit den ganz Großen zu gangbaren Handlungsoptionen führen würde.

Arnie hat sechs bis sieben Mal pro Woche jeweils drei Stunden hart trainiert. Teilweise hat er erst morgens ein Trainingsprogramm und dann noch eins abends absolviert. Wenn sich ein Trainingsanfänger oder sogar Fortgeschrittener mit einem solchen Trainingsvolumen belastet, ist das einfach nur Körperverletzung.

Trust me. In meinem allerersten Workout im Fitnessstudio mit zarten 19 Jahren habe ich mit meinem Trainingspartner das sogenannte Brust-Schock-Programm von Ronnie Coleman gemacht. Wenn du den Typen googlest, wirst du Bilder von einem 150-KG-Muskelhaufen finden. Meine Brust ist danach auf jeden Fall größer geworden, aber leider aufgrund von der Schwellung einer Entzündung – ich konnte mich zwei Wochen keinen Millimeter vom Boden hochdrücken. Nicht clever.

Hier kommt ein berühmtes Zitat von Bill Gates:

 

„I choose a lazy person to do a hard job. Because a lazy person will find an easy way to do it.”

– Bill Gates

 

Das klingt einleuchtend. Irgendwie rebellisch-innovativ und inspirierend. Doch wenn du noch am Anfang deiner Karriere stehst und dich beispielsweise selbstständig machen möchtest, um reich zu werden, hast du ganz andere Probleme als Mitarbeiterauswahl.

Der äußerst wichtige Tipp, dass du bei der einen Gesellschaftsform (Gesellschaft bürgerlichen Rechts, GbR) dein Haus verlieren kannst, wenn etwas schief geht, du allerdings bei der anderen Gesellschaftsform (Gesellschaft mit begrenzter Haftung, GmbH) nur bis 25.000€ haftest, kommt dann eher von diesem einen Freundesfreund Tom, der sich vor einem Jahr selbstständig gemacht hat und nun langsam erste Gewinne erzielt. Er ist in deinem Umfeld, in Deutschland und kennt die hiesigen relevanten Gesetze für Neugründer. Der Vergleich mit Toms vierstelligen monatlichen Umsatz ein Jahr nach Gründung ist greifbarer, motivierender als der Vergleich mit Bill Gates’ astronomischen Zahlen.

Das Problem mit Aufwärtsvergleichen, die zu hoch gegriffen sind, ist, dass sie demotivierend wirken können, wenn du auf die Frage „Wie komme ich denn dahin?“ keine Antwort findest.

Der Trick ist nun, sich einen Vergleichsmaßstab aus dem eigenen Umfeld zu suchen, der bis zu 20% besser in etwas ist, in dem du dich verbessern möchtest. Ein gleiches oder ähnliches Umfeld sowie ambitionierte, aber erreichbare 20% stellen sicher, dass sich aus dem Vergleich handlungsleitende, gangbare Prinzipien ergeben, die du für dich tatsächlich umsetzen kannst. Die Lücke zwischen deinem jetzigen Ich und deinem 20%-besser-Ich ist zwar ambitioniert groß, aber in absehbarer Zeit und mit deinen Ressourcen erreichbar.

Wenn du dich mit Arnie vergleichst, vergleichst du dich mit jemandem, der trainiert, um (seine Worte) „der größte, der bestgebaute Mann“ der Welt zu werden. Dein Trainingspartner hingegen, der eine Scheibe mehr nimmt, sieht es als Hobby, ist im gleichen Fitnessstudio und muss auch fünf Tage die Woche arbeiten. Wenn er dir nun sagt, dass die Maschine da links in der Ecke ihm beim Brustwachstum viel geholfen hat und dass er sich immer am Sonntag schon Putenfleisch zum Mitnehmen für die nächsten drei Arbeitstage vorkocht, dann lassen sich daraus für dich viel direkter und einfacher effektive Maßnahmen ableiten. Wichtig dabei ist natürlich, dass man nach dem ersten Schritt (Vergleich) gleich den zweiten Schritt tut und offen und interessiert nachfragt (Verbesserung).

Leider haben Aufwärtsvergleiche auch eine Krux. Du verlierst bei Aufwärtsvergleichen immer – das ist ein Charakteristikum dieser bitteren Medizin. Manche können damit besser umgehen, anderen schlägt es stärker aufs Gemüt, ständig bei einem Vergleich den Kürzeren zu ziehen. Eines ist jedoch gewiss: Sogar der Selbstwert des selbstbewusstesten Macho-Alphamännchens fängt nach einer ausreichenden Anzahl von Aufwärtsvergleichen an zu bröckeln. Das ist völlig normal. Die Dosis macht auch hier das Gift.

Wenn du einen Aufwärtsvergleich nutzen möchtest, um deine Leistung zu verbessern, beachte Folgendes:

 

  1. Der Vergleich: Suche dir einen Vergleichsmaßstab, der in einer Sache bis zu 20% besser ist als du. Oft ergeben sich für dich schneller und leichter umsetzbare Handlungsoptionen zur Leistungsverbesserung, wenn der Vergleichsmaßstab in deinem Umfeld liegt, da hier gleiche Ressourcen und Einschränkungen, Gesetze und Freiheiten vorliegen.

 

  1. Die Verbesserung: Nachdem du durch einen angemessenen Vergleich herausgefunden hast, worin etwas oder jemand bis zu 20% besser ist als du, finde heraus, wodurch dieser Unterschied entstanden ist. Dafür sind neugierig-naives Nachfragen sowie eine Offenheit für neue Herangehensweisen unglaublich förderlich.

 

  1. Die Bremse: Behalte dich selbst peinlich genau im Blick und mache eine Pause mit den Aufwärtsvergleichen, wenn du merkst, dass dein emotionaler Status momentan nicht robust genug ist für diesen Verbesserungsmechanismus.

 

Kalte Dusche

Aufwärtsvergleiche sind wie kalte Duschen. Eine kalte Dusche ist ein heilsamer Angriff auf deinen Körper. Die Kälte aktiviert dein Immunsystem und stärkt dich somit für den Kampf gegen die nächste Erkältung. Für den Moment mag die Kälte unangenehm sein, aber in der Zukunft stehst du besser da. Wenn du aber schon angeschlagen bist und kurz vor einer Erkältung stehst oder zu viel kalt duschst, verschlimmert eine kalte Dusche deinen gesundheitlichen Zustand. Wenn du sowieso schon in einer emotional belastenden Situation bist oder dir zu viele Aufwärtsvergleiche am Stück zumutest, wirkst du deiner eigenen Weiterentwicklung durch die ermüdende Wirkung emotionaler Erschöpfung entgegen.

Emotion ist das Stichwort für den heilsamen Balsam der Abwärtsvergleiche (Teil 2).

 

UPDATE: Eine liebe Leserin hat mich auf diese Studie aufmerksam gemacht (Thank youuuu). Aufwärtsvergleiche in Verbindung mit weißem Neid (gutmütig, „Ich-Gönne-Es-Ihm-Neid“) können zu mehr Motivation und besserer Leistung führen. Schwarzer Neid (bösartiger, „Ich-hoffe-Er-Erstickt-An-Seinem-Erfolg-Neid“) hingegen einfach nicht.

Weißer Neid muss für den motivations- und leistungssteigernden Effekt allerdings mit dem Glauben gepaart sein, dass Selbstverbesserung möglich ist. Um diesen Glauben geht es in meinen Selbstwirksamkeitsartikeln. Check‘ die mal.