Jobvergleich

Günter sitzt alleine in seinem Büro. „…und senden. Was kommt als nächstes? Mhm. Anfrage Nr. 29…“. Günter ist bei dem Telekommunikationsunternehmen Telekon beschäftigt und kümmert sich um Kundenprobleme. Er bekommt Problemschilderungen per Mail zugeschickt, bearbeitet diese der Reihe nach und streng nach einem vorgegebenen Leitfaden, füllt ein Lösungsformular für die Anfrage aus und sendet es an seinen Vorgesetzten. Feedback darüber, ob das Kundenproblem gelöst werden konnte, bekommt er nicht.

Lucky Lukas sitzt mit einem Kollegen im Starbucks. „…dann habe ich am Ende noch ein wenig mit dem Kunden über Fußball gequatscht. Wie sich herausstellte, sind wir beide Dortmundfans. Ich lasse ihm jetzt noch ein Dortmundtrikot zuschicken.“. Lukas arbeitet für das moderne Startup und Telekon-Konkurrenten Happy Connect. Er hat den gleichen Job wie Günter, aber seine Arbeitsanleitung lautet lediglich: „Mach‘ den Kunden happy.“. Er kann wählen, ob er dem Kunden per Mail antwortet, mit ihm telefoniert oder ihn zum Live Chat einlädt. Er kann auch wählen, von wo aus er arbeitet und hat sich heute eben mit einem Kollegen im Starbucks verabredet. Die Kundenprobleme kann er lösen, wie er will. Hauptsache, der Kunde ist am Ende glücklich. Einmal hat er einen Kunden sogar zur Konkurrenz vermittelt, weil diese ein besseres Angebot für seine spezielle Lage hatte und dafür sogar Lob vom Chef für die vorbildliche Umsetzung der Arbeitsanweisung bei diesem Sonderfall bekommen.

Nun, wo würdest du lieber arbeiten? Liegt wohl auf der Hand. Günters Job ist so strukturiert, dass die drei psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenzerleben, Autonomie und Verbundenheit mit anderen (gemäß Selbstbestimmungstheorie) nicht erfüllt werden. Lucky Lukas‘ Job hingegen schafft ein Umfeld, das die Erfüllung dieser drei Bedürfnisse stark begünstigt.

Günter

  • Bekommt kein Feedback über den Effekt seiner Arbeit (Kompetenzerleben)
  • Muss streng nach den Vorgaben arbeiten und hat keine Entscheidungsfreiheit (Autonomie)
  • Hat weder Kontakt mit Kollegen, noch mit Kunden (Verbundenheit)

Lucky Lukas

  • Bekommt sowohl durch Kunden als auch durch Vorgesetzte Feedback über den Effekt seiner Arbeit (Kompetenzerleben)
  • Kann seine Aufgaben auf vielerlei Arten lösen und sogar den Ort der Arbeit selbst bestimmen (Autonomie)
  • Hat Kontakt mit Kunden und Kollegen (Verbundenheit)

Die drei Grundbedürfnisse sollten zu jeder Zeit erfüllt sein und sind Voraussetzungen für persönliches Wachstum und psychologisches Wohlbefinden. Ferner steigt die Motivation bei Tätigkeiten, bei denen sie erfüllt sind. Es handelt sich hier nicht um Nice-To-Haves, es handelt sich um Must-Haves. Es handelt sich um Du-Hast-Nen-Verdammtes-Problem-Dude-Wenn-Du-Es-Nicht-Hast-Dinge.

Im Folgenden werden die drei psychologischen Grundbedürfnisse beschrieben und erklärt, was man beachten sollte, um deren Erfüllung zu begünstigen.

Kompetenzerleben: Wirkung sehen

„Kompetenzerleben“ kennst du möglicherweise schon aus dem ersten Beitrag zu Selbstwirksamkeit unter der Bezeichnung „Mastery“. Wann immer wir eine Aufgabe durch den Einsatz eigener Fähigkeiten meistern, haben wir dieses schöne Gefühl des Kompetenzerlebens. Eine gute Note bekommen, ein Lob für gute Arbeit erhalten, ein Gespräch in einer neu erlernten Fremdsprache führen, endlich vor dem fertigen, selbst aufgebauten IKEA-Regal stehen – das alles können Momente von Kompetenzerleben sein. Man sieht und erlebt den Effekt des eigenen Könnens in der Umwelt.

Günter hat bei seinem Job das Problem, dass er nie weiß, ob seine Arbeit tatsächlich fruchtet, da er kein Feedback von Kunden oder Vorgesetzten bekommt. Das hat einen stark demotivierenden Effekt. Lucky Lukas hingegen sieht den Effekt seines Handelns in der Umwelt: Dankbare Kunden, zufriedene Chefs.

Feedback ist ein Schlüsselbegriff beim Kompetenzerleben. Dieses Feedback kann, ganz klassisch, von außen in Form von Lob und Anerkennung kommen. Doch Feedback kann auch direkt aus der Umgebung kommen, ganz unabhängig von anderen. Ich schaffe beim Bankdrücken eine Wiederholung mehr, ich verstehe dieses russische Gedicht, ich kann endlich dieses Stück auf dem Piano spielen und es hört sich gut an.

In der Praxis

Wenn du dir Ziele setzt oder Aufgaben strukturierst: Achte stets darauf, dass du häufig Feedback zu deinen Fortschritten bekommst und somit den täglichen Fortschritt fühlst, deine Kompetenz erlebst. Hier einige Beispiele aus meinem Leben:

  • Training: Ich notiere mir bei jedem Training die Übung, die geschafften Wiederholungen und das Gewicht. Bei fast allen Übungen sehe ich in der nächsten Woche Steigerungen. Gerade der Moment während der letzten Wiederholung, die in der vorigen Woche physisch noch nicht möglich gewesen war, ist ein besonders belohnender Moment.
  • Piano: Ein Piano, eigentlich jedes Instrument, ist quasi eine Instant-Feedback-Maschine. Jeder getroffene Ton im richtigen Takt ist ein positives Mikrofeedback. Diese positiven Mikrofeedbacks reihen sich beim Lernen eines neuen Stücks aneinander und werden länger und länger, bis sie schließlich ein ganzes Stück ergeben. Das kann, ähnlich wie Tetris oder Candy Crush, regelrecht süchtig machen.
  • Sprachenlernen: Momentan lerne ich Russisch mit Duolingo (kostenlos, ich bin nicht affiliated). Man muss in kurzen Übungseinheiten einzelne Sätze übersetzen oder gehörte Sätze aufschreiben. Jedes Mal gibt es sofort Feedback, ob man richtig lag oder nicht. Ich bekomme also jeden Tag das Feedback: „Diese zwei neuen Ideen kannst du nun auf Russisch ausdrücken. Das konntest du gestern noch nicht. Sauber, Bro.“.

Verbundenheit: Wir brauchen Andere

Wir wollen uns anderen zugehörig, mit ihnen verbunden fühlen, wir wollen lieben und geliebt werden, uns um andere kümmern und selbst umsorgt werden. Genetisch darauf programmiert, in der Gruppe zu überleben, heult unser Hirn schnell auf, wenn das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit nicht bedient wird.

Diese Bedürfnisbefriedigung hat zwei Wege: Den direkten und den indirekten. Eine harmonische Teamarbeit – High Fives, Anerkennende Worte, aufmunternde Witzeleien – ist ein Beispiel für einen direkten Weg. Wir haben während der Tätigkeit direkten, positiven sozialen Kontakt. So weit, so gut.

Den indirekten Weg der sozialen Eingebundenheit nenne ich das soziale Fallnetz. Wenn dein Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit auf dem indirekten Weg ausreichend erfüllt ist, hast du das Gefühl, dass du im Leben abstürzen kannst und dennoch von deinen Lieben aufgefangen wirst. Du fühlst dich sozial abgesichert. Wenn Günter – sorry, dass du immer herhalten musst, mein Lieber – nun beispielsweise in Scheidung leben würde, sein soziales Fallnetz auseinander bröseln würde, so würden nachvollziehbarerweise psychologisches Wohlbefinden und Arbeitsmotivation darunter leiden.

In der Praxis

Wenn du dir Ziele setzt oder Aufgaben strukturierst: Denke an die zwei Wege. Mit einem bröckeligen sozialen Fallnetz im Hinterkopf kannst du keine Höchstleistungen bringen – kümmere dich zunächst darum, falls du Angst vorm Fallen hast. Möglicherweise ist es sinnvoll, die Prioritäten zu überdenken: Erst die Probleme in der Familie oder im engen Freundeskreis bearbeiten und mit klarem Kopf das Big Picture, die großen Träume des Lebens, angehen. Wenn dein Fallnetz solide ist, verknüpfe deine Ziele bzw. konkreten Aufgaben mit positiven, sozialen Interaktionen. Hier wieder Beispiele von moi:

  • Piano: Eigentlich gibt es beim Klimpern nur mich und das Tastenmeer. Doch gelegentlich ergibt sich die Möglichkeit, einer anderen Person den Tag durch ein kleines Stück zu versüßen. Hier wirken also beide Wege. Beim Üben motiviert der Gedanke, anderen vorspielen zu können, während des Vorspielens wirken direkte, soziale Anerkennung und das Gefühl, anderen drei Minuten musikalischer Freude gemacht zu haben. Wobei Letzteres durchaus von der Tagesform abhängt :).
  • Sprachenlernen: Das ultimative Ziel beim Sprachenlernen ist soziale Interaktion. Man kann seinen russischen Freund überraschenderweise plötzlich auf Russisch dissen, mit dessen Eltern in der Muttersprache einen kurzen Plausch halten oder sich in seinem nächsten Urlaub mit Einheimischen durch die Nutzung ihrer Sprache auf einer viel engeren Ebene verbinden. Duolingo hat das Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit in Form eines wöchentlichen Leaderboards geschickt integriert. Man kann sehen, wie viel die eigenen Freunde in der jeweiligen Woche schon für ihre Wunschsprache gelernt haben. Ehrensache, dass ich da immer ganz oben stehen muss, wobei mein eifriger Cousin mir gelegentlich schlaflose Nächte bereitet…

Autonomie: Selbst entscheiden können

Es macht einen riesigen Unterschied, ob wir etwas tun, weil wir uns selbst dazu entschieden haben oder es bloß auf externem Druck hin tun. Das Autonomiebedürfnis ist den anderen beiden übergeordnet. Ist das Autonomiebedürfnis nicht erfüllt, so können die anderen beiden Bedürfnisse, seien sie auch erfüllt, nicht motivierend wirken. Wer seine Autonomie, seine Freiheit bedroht sieht, dem sind die herzlichen Worte der Kollegen und das Lob des Chefs egal.

Kompetenzerleben und Verbundenheit können unabhängig voneinander erfüllt sein und einen positiven Einfluss auf die Motivation haben. Günter könnte per Mail Feedback zu seiner guten Arbeit bekommen (Kompetenzerleben erfüllt), aber noch immer alleine im Büro sitzen (Verbundenheit nicht erfüllt). Das würde seine Lage etwas verbessern.

Nicht nur für das persönliche Wohlbefinden und die Motivation ist ein stark kontrolliertes Umfeld mit wenigen Möglichkeiten für eigenständige Entscheidungen schädlich. Studien konnten auch zeigen, dass bei Autonomieentzug sowohl die Kreativität leidet als auch die generelle Leistung sinkt.

In der Praxis

Wenn du dir Ziele setzt oder Aufgaben strukturierst: Achte darauf, stets eigenständige Entscheidungen treffen zu können und die Situation ein Stück weit zu kontrollieren. Hier wieder Beispiele aus meinem Leben:

  • Training: Ich bin in der glücklichen Lage, von niemandem zum Training gezwungen zu werden und habe mir nie von irgendeinem Trainer einen Trainingsplan vorgeben lassen. Beratung? Okay, gerne. Die letzte Entscheidung behalte ich mir aber vor und fahre damit seit nunmehr 9 Jahren sehr gut. Ich habe mir jedoch einen Motivationstrick für meinen Trainingsplan einfallen lassen, dessen Wirkstoff Entscheidungsfreiheit ist. Zum leidigen Bauchtraining am Ende jeder Session musste ich mich immer zwingen. Man ist schon ausgelaugt und dann noch den Bauch zum brennen bringen? Meh. Ich habe oben geschrieben, dass ich jede Übung, Wiederholungen und Gewicht notiere. Das habe ich für das Bauchtraining bewusst geändert und nunmehr steht im Notizbuch am Ende jedes Trainings nur noch „Bauch“. Die interne Vorgabe dabei: Bringe ihn zum brennen. Übungen, Wiederholungszahlen, Pausenlängen – alles darf spontan entschieden und immer wieder aufs Neue zusammengesetzt werden. Aus verbissenem Bauchzwang ist lockere, kreative, effektive Spielerei geworden.
  • Sprachenlernen: Die schlauen Duolingo-Erfinder haben beim Programmieren der App das Autonomiebedürfnis sehr bewusst berücksichtigt. In Abhängigkeit des eigenen Fähigkeitslevels kann man stets aus mehreren verfügbaren Skills (z.B. „Ortsangaben“, „Tiere“, „Genitiv“) den nächsten Lernschritt wählen. Bei bereits gelernten Skills zeigt Duolingo mithilfe sinkender Powerbalken an, welche Skills wiederholt werden sollten. Ob und wann man welchen Skill allerdings wiederholt, bleibt beim Lernenden. Das ist ein deutlicher Unterschied zum Lehrbuch-Von-Vorn-Nach-Hinten-Durchlernen. Ja, ich bin wirklich von der App überzeugt.

That’s it. Hab ein Auge auf die drei psychologischen Grundbedürfnisse Kompetenzerleben, Verbundenheit und Autonomie und prüfe, ob dein Leben so strukturiert ist, dass sie stets erfüllt werden können. Ist das der Fall, wirst du merken, wie die Füße auf dem Weg zu deinem Ziel immer leichter werden…

And now go out and rock dat live!

LG

M