Meh.

Der Wecker war mit 10:30 sehr versöhnlich eingestellt. Ich hatte mir vorgenommen, dieses mal auf KEINEN Fall die Snooze-Taste zu benutzen. „Aaaaalso raus aus den Federn jetzt, Marco“, sage ich mir. Nach einem kurzen Blinzeln – trockene Augen – behauptet das iPhone, es sei 12:30. Guten Morgen. Immerhin ohne Snooze-Taste.

Ein tiefes Bedürfnis, sich vor den Herausforderungen des Tages im Bett zu verstecken, lässt nichts Gutes ahnen. Es wird klar, dass das „Raus aus den Federn“ eine leere Motivationsworthülse, ein Überbleibsel vergangener Motivationsschübe, war. Ich schäle mich aus dem Bett.

Das Zähneputzen dauert irgendwie länger und die warme Dusche zu verlassen, die ähnlich wie das Bett ein geschützter, warmer Raum ohne Stress, Aufgaben und Verantwortung ist, stellt sich als zweite große Herausforderung des noch so jungen Tages heraus.

Beim Frühstück – schmeckt irgendwie…grau heute – schießen mir all die Dinge in den Kopf, die ich noch dringend erledigen muss und die ich mal erledigen sollte. Nachdem ich diese Dinge so lange durchdacht habe, bis sie mir ein schlechtes Gewissen machen, fange ich schnell an, mir über etwas sorgen zu machen, das ich nicht beeinflussen kann: „Hoffentlich stirbt mein Vater nicht plötzlich.“ Nicht, dass ich am Ende noch dazu komme, die Aufgabenerledigung zu planen.

Soo. Nach dem leichten Frühstück und den schweren Gedanken geht es dann mal frohen Mutes hinaus in die Welt: „Anpacken jetzt!“. Der Himmel ist so grau wie der fade Nachgeschmack des Frühstücks. Auf dem Weg ins Café läuft mir ein 40-jähriger Mann mit schütterem Haar und leichtem Bierbauch in schlichtem C&A-Outfit entgegen. Ich beleidige ihn: „Loser“. Natürlich nur mental. Mir ist nicht danach, tatsächlich mit Menschen zu reden. Zwei Schritte nach meinem Mental-Tourette ergibt sich ein Gedankenbrei aus folgenden Zutaten:

„Oh Gott, warum denke ich so etwas?“

„Es tut mir leid.“

„Heute bin ich wirklich schlecht drauf.“

„So bin ich normalerweise nicht.“

„Hoffentlich bleiben meine Haare etwas länger.“

„Hoffentlich stirbt mein Vater nicht plötzlich.“

Und eine Prise: „Ich bin wertlos, weil ich keinen shit done kriege.“

Ich bleibe stehen und schaue nach rechts in ein abgedunkeltes Schaufenster. Die gespiegelte Version meiner Selbst sieht grimmig und müde aus. Meine helle Haut habe ich sonst immer liebevoll als „edle Blässe“ beschrieben. Momentan sehe ich es eher als käsiges Passepartout für die aktuell bemerkenswert stark ausgeprägten Augenringe (Ich bin ja fast schon ein wenig stolz). Die Haare sind noch da. Immerhin.

Heute interpretiere ich irgendwie alles negativ und reagiere nicht in meiner gewohnt freundlich-charmanten Art und Weise, sondern plump und missmutig. Plötzlich sehe ich mein Gegenüber lachen. Mit ein paar Sekunden Verzögerung stelle ich fest, dass ich es bin, der da gerade hörbar lacht. Heute ist wirklich ein SCHEISS TAG.

Woa. Nicht schlecht. Als hätte ich einen Rucksack voller Steine abgelegt.

Es ist ein Eingeständnis. Das Eingeständnis eines emotionalen Zustandes, welchen ich vorher mit leeren Motivationsphrasen wie „Raus aus den Federn“ und „Anpacken jetzt!“ in dilettantischer Weise versucht habe zu überspielen. Ich schmunzle noch immer. Wie absurd. Das Eingeständnis, dass es mir einfach mal scheiße geht, wirkt Wunder.

Ich schaue mich kurz um, ob jemand in der Nähe ist, schneide eine Grimasse und gehe weiter. Jeder hat diese Tage oder gar Phase mit längerer Laufzeit. Wie eine Erkältung können wir sie nicht einfach weg reden oder gar ignorieren. Aber das Erkennen und Akzeptieren ist wie Vitamin C, ein warmer Tee und Bettruhe zusammen. Heute ist bei mir so ein Tag und ich schraube meine Tagesziele entsprechend herunter auf kleiner, erreichbarer. Ich mache ein Treffen mit einem Freund aus und blocke mir Zeit zum Lesen.

Ignoriere eine Erkältung bzw. einen emotionalen Downer und arbeite und leiste so, als ob du nichts hättest und du wirst nach einiger Zeit der Verschleppung richtig umgerissen. Das Zauberwort lautet Ak-zep-tanz und ist die Basis einer ganzen psychologischen Therapieform, der ACT (Akzeptanz- und Commitmenttherapie).

Für mich ergießt sich das Akzpetanz-Prinzip in folgendem Bild: Ein gewaltiger, tosender Sturm zieht in der Nacht über die Felder. Am nächsten Morgen liegt die starke, starre Eiche gebrochen auf dem Boden. Die mit dem Wind gehenden, flexiblen Weizenähren stehen unverändert in voller Pracht. Es ist okay, sich von widrigen, äußeren Umständen mal biegen zu lassen. Deine Wurzel – deine Grundwerte und Einstellungen – bleiben am Platz und du wirst nach dem Sturm wieder voll da sein. Wenn du immer starr, diszipliniert, äußerlich perfekt bleibst, wirst du im nächsten schweren Sturm brechen. Depression, Burnout, you name it.

Ich komme schließlich im Café an. „Einen Kaffee…

…bitte.“. Ein leichtes Lächeln hascht mir während der Bestellung über das Gesicht.

LG

M